Wer wir sind ...

Ende des 18. Jahrhunderts, als noch das Herzogtum Württemberg bestand, schrieb Hölderlin seinem Bruder Karl Gok, dass er zuversichtlich sei, dass das kommende Jahrhundert für die Menschen besser werden würde.

Der im folgenden Text beschriebene historische Werdegang im Südwesten ist im Mitteilungsblatt des Bessarabiendeutschen Vereins vom Februar 2008 nachzulesen.

Das Leben zu Beginn des 19. Jahrhunderts war für die Menschen im Südwesten jedoch alles andere als gut. Napoleon Bonaparte forcierte die Gründung des Königreiches Württemberg am 1. Januar 1806 und beteiligte die württembergischen Truppen an seinen Feldzügen gegen Preußen, Österreich und Russland, zum Teil mit großen Verlusten an jungen Württembergern und Verwüstungen im Land, was besonders für die kinderreichen Familien ein hartes und mühevolles Leben in bitterer Armut bedeutete. Hölderlin war enttäuscht, dass sich Napoleon als Diktator und Tyrann aufschwang und Württemberg nicht die ersehnte Demokratie brachte.

Als Hölderlin im Mai 1807 aus der Tübinger Klinik zum Sterben entlassen wurde und das Turmzimmer im Haus seiner Pflegefamilie bezog, wurden die verzweifelten Mitbürger wirtschaftlich weiterhin ziemlich gebeutelt und von massiven Zukunftsängsten geplagt. Viele Württemberger waren wie Hölderlin im pietistischen Sinne erzogen, sodass ihr Glaube an Gott und das Gebet ihr einziger Halt waren. Hölderlins Mutter Johanna Gok, die Hölderlins Vormund war und zum Pfarradel gehörte, hatte zwar genug Geld für die Familie, aber dennoch über das Konsistorium bei König Friedrich I. von Württemberg einen Antrag zur jährlichen Zahlung von Pflegegeld für Hölderlin gestellt, weil die Kirche (über die Mutter) Hölderlin zuvor in die Anstalt hatte einweisen lassen, um ihn gefügig zu machen. Also bewilligte der König mit 150 Gulden pro Jahr der Kirche bzw. der Mutter die Kosten der Pflegschaft Hölderlins, wie die Hölderlinforscher Adolf Beck und Pierre Bertaux in ihren Büchern schreiben.

Die einfache Bevölkerung musste hohe Abgaben sowohl an Napoleon als auch an den verschwenderischen König von Württemberg zahlen. Nachdem das Land von der französischen Herrschaft befreit war, kämpften die Württemberger bis 1815 (Wiener Kongress) zusammen mit Preußen, Österreich und Russland gegen Frankreich, sodass sich die wirtschaftliche Lage immer noch nicht besserte. Dazu kam die neue Erbteilung. Familien sollten von nun an ihr Erbe zu gleichen Teilen an ihre Kinder abgeben, sodass für den Einzelnen das Geld oftmals "zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel" war.
Hölderlins Mutter hatte nach ihrem Tod im Jahr 1828 ihrem Sohn ihr gesamtes Vermögen vermacht, aber Hölderlins Geschwister Heinrike und Karl wollten trotzdem auch ihren Anteil, der ihnen per Gesetz zustand. Hölderlin hatte immer noch mehr als genug Geld, zuviel Geld, um alles zu Turmzeiten ausgeben zu können. Man kann jedoch sehen, wie besorgt Hölderlins Mutter um ihren Sohn war, der nunmal nicht den Brotberuf des Pfarrers hatte, um für sich selbst sorgen zu können.

Im April 1815 brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus und bescherte Nordamerika und Europa, besonders dem Elsass, der Pfalz, Baden und auch Württemberg, einen "vulkanischen Winter" mit einer nie dagewesenen Missernte und hoher Sterblichkeit der Nutztiere, die die größte Hungersnot im 19. Jahrhundert mit sich brachte. 1816 wurde als "Jahr ohne Sommer" bezeichnet, weil die Vulkanasche in der Atmosphäre die Sonne verdunkelte und es sogar im August schneite.

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Lavafeld auf Island - Vulkanausbruch von 1783 bis 1784

Das Foto, das unser lieber Paul (Isländer mit deutscher Mutter) aufnahm, zeigt ein Lavafeld, das sich über viele Kilometer erstreckt. Als Hölderlin ein Teenager war, brachen von Juni 1783 bis Februar 1784 der Vulkan Grímsvötn und die Laki-Krater aus. Das Ereignis hatte Auswirkungen auf das globale Klima. Der Winter war eisig, brachte Hungersnöte und Missernten. Das riesige Lavafeld ist heute mit einem dicken Moosteppich bedeckt, auf dem man zwar laufen kann, aber er birgt Gefahren, weil man in Gesteinsspalten treten kann, die vom Moos überwachsen und nicht gleich zu erkennen sind.

Die Mittsommernacht war 2003 auf meiner Reise mit meinem lieben Ehemann Carsten nach Island (220 Jahre nach Hölderlin) ohne Jacke noch immer ziemlich kühl.

Durch die geringere Schneeschmelze in den Alpen und zusätzlichen Schneefälle im Sommer kam es also im Folgejahr 1817 zu großen Überschwemmungen, sodass viele Europäer, und natürlich die kriegsgebeutelte Bevölkerung im Südwesten, größtenteils direkt in die USA auswanderte.

Nachdem der König von Württemberg das Auswanderungsverbot von 1807-1816 aufgehoben hatte, markierte das Jahr 1817 den Höhepunkt der Auswanderungswelle.
Zar Alexander I., der älteste Sohn der Prinzessin Sophie Dorothee von Württemberg aus ihrer Ehe mit Kaiser Paul I., Enkel Katharinas der Großen und Neffe des Königs von Württemberg, rief Kolonisten in sein Land und versprach ihnen großzügige Privilegien. Sie durften Land erwerben und bebauen und ihre Gemeinden selbst verwalten. Durch seine Verwandtschaft mit dem Königshaus Württemberg und als Ehemann der Prinzessin Louise von Baden, wusste Zar Alexander I., dass die Menschen aus dem Südwesten genau die richtigen Leute waren, um Land urbar zu machen und "etwas Großes" erfolgreich aufzubauen, wie mir meine Großeltern immer erzählten.

Die Auswanderungswelle der Schwaben war also erstmal nicht zu stoppen, was König Wilhelm I. von Württemberg wohl zu spät bemerkte. 1817 gründete er zwar schon eine Art Volksfest-Komitee, im Jahr 1818 fand dann auch das erste landwirtschaftliche Cannstatter Volksfest, der bekannte Cannstatter Wasen statt, der die Landwirte mit Preisen, Auszeichnungen und Geschenken milde stimmen sollte. Die bekannte Fruchtsäule gefüllt mit Obst, Gemüse und Getreide sollte die Bevölkerung auf eine glorreiche Zukunft einstimmen. Der Inhalt der Fruchtsäule hätte besser schon viel früher auf die hungernde Bevölkerung verteilt werden müssen, bevor viele Familien schweren Herzens ihre Heimat verließen.

Laut des Bessarabiendeutschen Vereins setzten sich trotz aller Warnungen der Regierung die sogenannten Schwabenzüge in Bewegung, die sich in der Ferne eine bessere Zukunft erhofften. In der Tat hatten die Bessarabiendeutschen karge Steppe in blühende Landschaften verwandelt. Wie schon meine Großeltern, die auch Landwirtschaft betrieben, immer wieder gerne erzählten und geradezu ins Schwärmen gerieten, war der Boden sehr fruchtbar und brachte die prächtigsten und süßesten Früchte hervor. Das mediterrane Klima am Schwarzen Meer, wo meine Großmutter Hulda Faas geboren wurde, bot optimale Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht. Natürlich haben die Württemberger auch ihre Rebstöcke angepflanzt. Meine Großeltern hatten Weintrauben nur für den Eigenbedarf, nicht im großen Stil als Weinhändler wie Hölderlins Stiefvater Christoph Gok.

Mein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater Johannes Schaal aus Walddorf bei Reutlingen (heute Walddorfhäslach) wurde wie Hölderlins Halbbruder Karl Gok im Jahr 1776 geboren. Dieser Vorfahre ist mit seiner Familie nicht in die USA, sondern zusammen mit anderen Schwaben aus wirtschaftlichen Gründen nach Bessarabien ausgewandert, auch weil ihm Bessarabien nicht ganz so weit vorkam wie gleich ein anderer Kontinent und er das damit verbundene Risiko einer ungewissen Zukunft für einigermaßen kalkulierbar hielt. Johannes Schaal war mit seiner Familie am 05. Juni 1817 offiziell eingewandert und gehörte von da an zu einer deutschen Minderheit in einer neuen Gründungskolonie in Südosteuropa (das Gebiet gehört heute teilweise zu Moldawien und zur Ukraine), die nach Fürst Basarab I. benannt und unter Zar Alexander I. besiedelt wurde.

1940 kam die Umsiedlung. Eine gesonderte Kommission aus Berlin registrierte in Bessarabien alle deutschstämmigen Familien und deren Besitz für den etwaigen späteren Lastenausgleich. Durch die offizielle Rückführung von Bessarabien nach Deutschland wurden die Bessaraber wieder eingebürgert, haben also die deutsche Staatsbürgerschaft ihrer Vorfahren automatisch zurückerhalten. Die Bessarabiendeutschen, die zu dem Zeitpunkt noch in Bessarabien lebten und nicht nach Nordamerika (oder sogar bis nach Australien) ausgewandert waren, waren also keine Vertriebenen bzw. Flüchtlinge, wie in historischen Abhandlungen gelegentlich zu lesen ist, sondern wurden von der damaligen deutschen Regierung umgesiedelt, d.h. "nach Hause" geholt.
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Kelowna, Okanagan Valley, B.C., Kanada

Das Valley mit seinem milden Klima gilt als der Früchtekorb Kanadas.
Manche Vorfahren meiner Urgroßmutter Margaretha Dobler und meiner Ururgroßmutter Katharina Schaal wanderten zunächst gen Osten nach Bessarabien, verließen aber die Kolonie, als Bessarabien unter rumänische Herrschaft mit neuen, unangenehmen Einschränkungen für die Siedler kam. Nach den Erzählungen der Urgroßmutter wanderten daraufhin etliche Bessaraber, darunter auch Großmutters Nachbar von gegenüber, nach Kanada aus und siedelten im Okanagan Valley in der Provinz British Columbia, hauptsächlich in Kelowna (siehe Foto).

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Penticton, Okanagan Valley, B.C., Kanada

Dank eines ausgeklügelten Bewässerungssystems konnte das Okanagan Valley für die Landwirtschaft nutzbar gemacht werden.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Nachkriegszeit kamen viele Deutsche nach Vancouver, wo es noch heute die 'Robson Street' (früher 'Robson Strasse') gibt - die "deutsche Straße" mit deutschen Läden, Gaststätten und deutscher Kultur. Die irischstämmigen Doblers und die schwäbisch-bessarabische Schaal Family, also meine Cousins und Cousinen 5. und 6. Grades, leben heute über die USA verteilt. Meine französischstämmigen Biffarts aus Bessarabien sind hauptsächlich nach Kanada ausgewandert.
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Farm in New South Wales, Australien

Das Foto zeigt den ehemaligen Nachbarn meiner Großeltern aus Pawlovka in Bessarabien, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg allein auf ein Schiff nach Australien begeben hatte. In der Nähe von Sydney kaufte er sich Land, um Obst und Gemüse anzubauen. Seine Mandarinenbäume waren am besten. Jedoch machten ihm Hitze und Trockenheit immer zu schaffen. Er pflanzte daher großflächig saftigen Klee an, damit die Buschbrände nicht gleich sein Haus vernichteten. Bis drei Jahre vor seinem Tod mit 87 Jahren hatte er noch jeden Morgen vor Sonnenaufgang seinen Küchengarten gewässert, immer die Giftschlangen im Blick, und schimpfte über den schlechten Boden.

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Sydney, New South Wales, Australien

Bis zuletzt hatte Bruno Heimweh nach Bessarabien, daher freute er sich immer über Besuch aus Deutschland.

Als unsere württembergischen Vorfahren auswanderten, nahmen sie nicht nur ihre Sprache des 18./19. Jahrhunderts, ihren heimischen Dialekt, sondern natürlich auch die Kochrezepte und andere Gepflogenheiten und Traditionen mit in die neue Heimat.
Ich stelle fest, dass meine Großeltern zwar schon Schwäbisch gesprochen haben, aber im Vergleich zu heute klang ihre Aussprache etwas anders. Da die Bessaraber damals die sprachliche Entwicklung in Württemberg nicht mehr mitbekommen hatten und deshalb noch so sprechen, wie es in ihrer Gemeinde von Generation zu Generation weitergegeben wurde, vermute ich, dass ihre Aussprache des Schwäbischen dem noch recht ähnlich sein könnte, was Hölderlin zu seiner Zeit gesprochen hatte.
In Bessarabien kamen jedoch im Laufe der Zeit neue Vokabeln (z.B. Kabatschki - Zucchini) durch den russischen und rumänischen Einfluss hinzu. Ich habe angefangen, ein kleines historisches Wörterbuch Deutsch-Bessarabisch zu erstellen, wobei ich feststelle, dass einige schwäbische Ausdrücke, die meine Großeltern benutzten, auch aus dem Englischen und Französischen kommen.

Ähnlich verhält es sich wohl auch mit den Kochrezepten. Meine Großmutter hatte schon noch Knöpfle, Dampfnudeln und Schupfnudeln gekocht, allerdings entwickelten sich auch die Gerichte unter dem russischen und rumänischen Einfluss in verschiedene Richtungen, auch weil man in Bessarabien andere Gemüsesorten anbauen konnte, wie Aubergine, Zucchini, Paprika und Melone, was Hölderlin von zuhause nicht kannte. Was er aber gekannt haben dürfte sind Tomaten, Gurken und Kürbis, auch in der sauer eingelegten Variante, sowie Erbsen, Karotten, Blumen-, Rosen-, Rot- und Weißkohl, Bohnen und Linsen.
Was Hölderlin wo gegessen hatte...
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Mannheim um 1785

Die Rheinebene in der Gegend um Mannheim und Speyer wurde in den Erinnerungen der Charlotte von Kalb als eine sehr südliche (mediterrane) Gegend mit milden Wintern beschrieben, die sie an Italien erinnerte.
In der Pfalz konnten schon damals Zitronen und Orangen, weiße Feigen, Pfirsiche, Erdbeeren und Kirschen angepflanzt werden. Auch von den Rosen und besonders den dunklen Nelken war Charlotte von Kalb beeindruckt. Gut möglich, dass Hölderlin, der 1788 auf eine Reise in die Mannheimer Gegend eingeladen wurde und neben Speyer und Schwetzingen natürlich auch Heidelberg besuchte, auch in den Genuss dieser Früchte kam. Spätestens in Bordeaux bewunderte Hölderlin die vielen Zitronenbäume.

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Johanna Goks Kirschen

Hölderlins Mutter Johanna Gok hatte in Nürtingen einen Küchengarten und neben Weinreben natürlich auch Obstbäume. Sie kümmerte sich um das Erbe ihres zweiten Ehemannes, Christoph Gok. Neben Landwirtschaft betrieb sie einen Weinhandel.
Als Hölderlin Hauslehrer bei den Herrschaften Heinrich und Charlotte von Kalb im fränkischen Schloss Waltershausen war, schwärmte Charlotte von den süßen Früchten, die sie in ihrer Zeit in Mannheim genoss, als ihr Mann als Offizier in seiner französischen Garnison in Landau stationiert war. Charlotte war nur das harsche Klima daheim im Landkreis Rhön-Grabfeld gewöhnt.

Hölderlin schrieb seiner Mutter nach Hause, dass die Freifrau von Kalb bei ihr sechs Maß Kirschwasser bestellen wolle. Hölderlins Mutter ließ wissen, dass die Erntezeit noch nicht gekommen sei und man erst noch einige Wochen warten müsse, bis die Kirschen schön reif und für die Obstbrände perfekt seien. Hölderlin schrieb seiner Mutter Ende Dezember 1794 aus Jena: "Mit dem Kirschengeist haben Sie große Ehre eingelegt. Ich soll Ihnen dafür und für Ihren Brief recht ser danken." (Große Stuttgarter Ausgabe, 6-1, S. 145)

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Rindsrouladen in Rotweinsoße mit Spätzle (Turm zu Tübingen)

Als ich am 20. März 2016 das Klangsteinkonzert von Prof. Klaus Fessmann im Hölderlinturm anlässlich des Geburtstages Hölderlins besuchte, hörte ich einen kleinen Vortrag über das Turmleben Hölderlins. Charlotte Zimmer, die Hölderlin und ihre alte Mutter immer gut bekochte, servierte Hölderlin Rouladen mit Gurke und Speck in einer Rotweinsoße mit Kartoffeln und Spätzle, dazu Bordeaux-Wein und Bratbirnenmost. Der Duft der schweren Rotweinsoße erfüllte den Raum. Fleischgerichte gab es nur dann immer, wenn frisch geschlachtet wurde.
Es sei Hölderlin gegönnt, dass er noch im Alter einen guten Appetit hatte.
Das Foto zeigt das Gericht, wie ich es immer koche, mit meinen ersten vom Brett geschabten Spätzle.

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Austern (Bordeaux)

Als Hölderlin als Hauslehrer im Hause des Konsuls Daniel Christoph Meyer tätig war, kam er auch in den Genuss von Seefisch und Meeresfrüchten. Während kleine Austern immer noch ein Armeleuteessen waren und an jeder Ecke billig verkauft wurden, galten die größeren Exemplare als opulentes Mahl und wurden von den wohlhabenden Familien gerne auch als Vorspeise gegessen. In schwäbischen Kochrezepten des 17. und 18. Jahrhunderts (Schwaben haben oft irische Wurzeln) stand geschrieben, dass Austern als Suppeneinlage mit Wein und als Ragout mit Mehl, Butter und Milch und Sahne (weiße Soße) verwendet oder überbacken wurden, ähnlich wie in Irland, England und Amerika, wo Muschelsuppen u.a. auch Clam Chowder (z.T. auch mit anderen Muscheln) genannt wurden.

Die französische Bevölkerung war damals schon bekannt dafür, die Austern roh zu verspeisen, evtl. mit einem Spritzer Zitrone oder wie in Schottland und Amerika mit einer Schalotten-Vinaigrette. Etwa 65 Kilometer südwestlich von Bordeaux befindet sich der kleine Touristenort Arcachon, der u.a. neben Belon in der Bretagne für die Austernzucht bekannt ist, denn Arcachon gilt als "die Wiege der Austern".
Hölderlin hatte in seiner Zeit im Kloster Maulbronn und als Theologiestudent im Tübinger Stift oft über die Speisen geklagt. Er liebte gutes, schmackhaftes Essen (wer liebt das nicht?!). Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er keine Scheu hatte, Austern und andere Meeresfrüchte - in welchem Gericht auch immer - zu probieren. Er hatte schon früh Georg Forsters 'Reise um die Welt' gelesen und war neugierig auf andere Länder, Kulturen und Sitten... und Speisen.

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Fleischpastete (Bordeaux)

Pasteten aller Art (Enten- und Gänseleber, Schweinefleisch, Kalbfleisch etc.) manchmal mit Bordeaux-Wein oder Sherry verfeinert, kalt als Vorspeise und warm als Hauptgang (als eine Art Pie) wurden Hölderlin sowohl im Schloss Waltershausen als auch in Frankreich serviert.

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Butterbrot und Tee (Weimar)

Charlotte von Kalb schreibt in ihren Lebenserinnerungen, dass sie als Neuankömmling in Weimar gleich von Freifrau von Schardt (verh. Charlotte von Stein) in die Weimarer Gesellschaft eingeführt wurde. Charlotte von Stein, die Hofdame der Herzogin Anna Amalia, Goethes Ex-Geliebte und Patin der Kinder Charlottens, lud Charlotte von Kalb zu nachmittäglichen Damentreffen ein. Es gab wie in England Butterbrot und Tee, manchmal auch die süßen Brötchen, die in England Scones genannt werden. Dies behielt Charlotte bei, sodass Hölderlin beim Treffen mit Goethe und Herder bei Charlotte von Kalb in ihrem Wohnhaus in Weimar ebenfalls in den Genuss kam.

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Gefüllte Kräuter-Forelle mit Wurzeln (Schloss Waltershausen)

Charlotte von Kalb (1761-1843) schreibt in ihren Lebenserinnerungen, dass alle Schloss- und Dorfbewohner ab dem Frühjahr nach der Schneeschmelze sämtliche Blüten, Kräuter, Früchte, Beeren, Wurzeln und Pilze - also alles, was die Natur das ganze Jahr bis zum nächsten Frost anbot - sammelte und verarbeitete; für die gute Küche, aber auch für Haus- und Heilmittel.
Etwa ab 1770, also als Hölderlin geboren wurde, kamen bei Charlottens Familie im Rahmen großer Sommerfeste und Festschmäuse mit Gästen erstmals Kartoffeln auf den Tisch, was Charlotte sehr stolz machte, eine kulinarische Neuheit präsentieren zu können, die nicht von allen sogleich angenommen wurde.

Da Charlottens Familie Marschalk von Ostheim und auch ihr Ehemann Freiherr von Kalb regelmäßig auf die Jagd gingen, standen neben Fasan, Rebhuhn und Hase auch Hirsch, Reh und Wildschwein auf dem Speiseplan - Hauptsache ein guter Braten mit Soße und Kartoffeln. Desweiteren wurde auch in den Flüssen Saale und Unstrut gefischt. Karpfen gab es bei Charlotte zu Weihnachten, ansonsten viele Süßwasser-Fische wie Döbel, Barsch, Forelle, Saibling, die über dem Feuer gebraten und zur Würze mit Kräutern verfeinert wurden. Wurzeln (Möhre, Steckrübe etc.) aller Art waren oft als Sättigungsbeilage dabei. Anschließend gab es Zuckerwerk als Nachtisch - zu Weihnachten Äpfel, Nüsse und Marzipan als essbarer Christbaumschmuck.
Hölderlins Familie aus Lauffen und Nürtingen hatten auch Fische aus dem Neckar gegessen... ebenso kam bei unseren Verwandten aus Bessarabien der Fisch Kefal (türkisch für Meeräsche) aus dem Schwarzen Meer auf den Tisch.

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Hirschragout mit Pfifferlingen (Schloss Waltershausen)

Als Hölderlin im fränkischen Schloss Waltershausen seine erste Stelle als Hauslehrer des Sohnes Fritz von Kalb bei den Herrschaften Heinrich und Charlotte von Kalb angetreten hatte, nervte ihn Freiherr (der arbeitslose 'Major') von Kalb, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Hölderlin war froh, selbst kein Tier auf der Jagd mit Freiherr von Kalb erlegt zu haben, dennoch hatten ihm sicherlich die Gerichte gemundet, die ihm im Schloss Waltershausen serviert wurden. Hölderlin schrieb in einem Brief nach Hause, dass heute das ganze Schloss aus dem Häuschen sei, weil der Herzog von Meiningen zum Mittagessen erwartet werde... da wurde das Beste aufgetischt, was Wald, Wiese und Fluss zu bieten hatten.
Das Foto zeigt ein Hirschragout mit Pfifferlingen und Kartoffelklößen.

Im ersten Brief aus Waltershausen, den Hölderlin am 03. Januar 1794 seiner Mutter schickte, beschrieb er nicht nur die Freundlichkeit der Schlossbewohner, sondern auch seinen Tagesablauf als Hauslehrer des Zöglings Fritz von Kalb.
"Morgens zwischen 7 und 8 Uhr wird mir mein Koffee aufs Zimmer gebracht, wo ich dann mir selbst leben kann bis 9 Uhr. Von 9 Uhr bis 11 geb' ich Unterricht. Nach zwölf wird zu Mittag gespeist. (NB. weil Sie [meine liebe Mamma] mich wegen der sächsischen Kochkunst so bedauerten, muß ich Ihnen sagen, daß hier eine Wiener Köchin ist und der Tisch gar schön besezt.)
Nach dem Essen kann ich, wie auch Nachts bei dem Major [Freiherr von Kalb] bleiben oder nicht, mit dem Kleinen [Zögling Fritz] ausgehen oder nicht, arbeiten [dichten] oder nicht, wie ich will. Von 3 bis 5 Uhr [nachmittags] geb' ich wieder Unterricht. Die übrige Zeit ist mein. Auch Nachts [abends] wird hier [warm] gespeist; und ich vergesse unsern Nekarwein leicht bei dem treflichen Biere, das, wie von mir, auch von der Herrschaft getrunken wird." (Große Stuttgarter Ausgabe, 6-1, S. 102)

Die Wiener Küche bot in gehobenen Gesellschaftsschichten ein warmes, gekochtes Abendessen (Souper), was ja auch am Hofe des Kaisers Franz Josef und seiner Sisi Mitte des 19. Jahrhunderts üblich war.
Hölderlin speiste daheim zu Mittag warm und kannte wie ich wohl von zuhause nur das abendliche Vesper, also eine kalte Kleinigkeit, die wie bei uns bis heute als 'Abendbrot' gegessen wird. Zwei warme Mahlzeiten am Tag waren bei uns nicht üblich. Bei uns hier im Südwesten (Pfalz, Baden und Württemberg) kenne ich von den Verwandten und Bekannten die Bezeichnung "Nachtessen" als "Abendbrot", d.h. eine Scheibe Brot mit Wurst, Käse, hartem Ei, Tomaten, (saure oder frische) Gurke, Radieschen, Schnittlauch, Petersilie, Kresse - je nach Jahreszeit.

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Hühnerfrikassee mit Champignons (Schloss Waltershausen)

Zu seiner Zeit im Schloss Waltershausen war Hölderlin dank der Wiener Köchin mit edlen Braten und Wildgerichten aller Art, Suppen, Eingemachtem, Rouladen, Pasteten, Ragout und Frikassee, Tafelspitz, Klöße, Knödel, Nocken und Mehlspeisen wie Apfelstrudel und Pfannkuchen sowie mit Schmalzgebackenem (süß wie herzhaft) und als Fastenspeise mit Süßwasserfischen oder Ei (z.B. 'Armer Ritter') beköstigt worden. Im 18. Jahrhundert waren Wildgerichte ausschließlich für die Adligen bestimmt, erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie auch den Bürgern in Gasthäusern serviert (siehe 'Kulinarisches Erbe Österreichs', Webseite www.kulinarisches-erbe.at). Da durch die Französische Revolution die Adligen geköpft und somit deren vorzügliche Köch*innen bei Hofe arbeitslos gemacht wurden, schlossen sich die Köch*innen zusammen, suchten neue Wege und gründeten für die Bürger Wirtshäuser und Restaurants, wie wir sie heute kennen.

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Linseneintopf (Nürtingen)

Im 18. Jahrhundert werden Spätzle bereits erwähnt, dennoch glaube ich eher nicht, dass Linsen damals mit Spätzle und Saitenwürschtle so gegessen wurden wie heute. Linsen allgemein, vor allem aber auch die Alblinsen ("Alb Leisa") von der Schwäbischen Alb, erscheinen in Kochrezepten aus dem 18. Jahrhundert hauptsächlich als Suppe bzw. Eintopf, mit Zwiebeln, geräuchertem Bauchspeck, Schweinsohren und Würsten, mit Petersilie, Majoran und Essig gewürzt.
Das Foto zeigt unseren Eintopf mit geräuchertem Bauchspeck (Dörrfleisch), kleingeschnittenen Saiten, Kartoffeln und Suppengemüse, mit Majoran (Dost) und einem guten Schuss hellem Essig gewürzt. Daher werden die Linsen auch Saure Linsen genannt.

Hölderlins Mutter Johanna hatte einen großen Küchengarten, sodass ich glaube, dass sie neben Zwiebeln auch Karotten, Sellerie, Lauch und Petersilie verwendet hatte, zur weiteren Sättigungseinlage Knöpfle, vielleicht sogar Kartoffeln, Mehl und Fett zum Eindicken (Einbrennen) der Suppe. Meine Großmutter Hulda hatte früher immer die Erbsen- und Bohneneintöpfe eingebrannt. Dazu gab es keine Spätzle, sondern einfach ein Stück Brot.

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Apfelküchle (Nürtingen)

Für Hölderlin und seine Geschwister gab es natürlich auch gebackene Apfelringe. Die Äpfel stammten von der eigenen Streuobstwiese.

Bei uns gibt es dieses Gericht seit jeher regelmäßig zweimal im Monat als Hauptmahlzeit. Die Scheiben werden in Teig gehüllt und nicht im Tiefenfett ausgebacken. Die Vorfahren hatten bessere Möglichkeiten zum wirklich heißen Braten und Brutzeln.

In Weimar hatte uns Goethes traditioneller, frittierter Beerenpfannkuchen mit einem Liebesgedicht garniert wirklich sehr gemundet.

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Maultaschen - "Herrgottsbscheißerle" (Kloster Maulbronn)

Das Foto zeigt die Maultaschen, wie sie heute gerne gegessen werden, klassisch mit Hackfleisch/Brät und Spinat gefüllt. Das Essen hatte Hölderlin im Kloster Maulbronn sowie im Tübinger Stift gar nicht geschmeckt.
Man sagt, dass die Maultasche von Mönchen des Klosters Maulbronn (daher Maul im Name) erfunden wurden, um in der Fastenzeit heimlich doch Fleisch essen und somit den Herrgott täuschen zu können. Damals waren die Maultaschen geschlossen, d.h. sie sahen wie italienische Ravioli aus. Traditionell werden sie in der Brühe gekocht und am Gründonnerstag gegessen, die Reste am Karfreitag mit Kartoffelsalat oder mit Ei in der Pfanne gebraten oder mittlerweile auch wie Cannelloni mit Tomatensoße und Käse im Ofen überbacken. Die Füllungen reichen heutzutage von Fisch, Wild, Pilzen und (Frisch-)Käse bis zu Gemüse und Kräutern.

Familienrezepte aus Bessarabien
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Onser Weihnachtsgänsle

In Bessarabien liefen zu Ostern bereits die Gänseküken im Gras herum. Zur Weihnachtszeit standen diese junge Gänse gut im Fleisch, sodass wir keine Füllung brauchten. Der gemauerte Ofen in der Küche hatte genug Platz für mehrere Gänse, sodass Familie und alle Gäste das zarte Fleisch genießen konnten, das einen feinen Eigengeschmack hatte, den die Füllung sonst verfälscht hätte.
Die Gänse wurden zuvor mit Salz eingerieben und im Inneren gepfeffert. Im Bräter wurden ihnen nur noch grobe Zwiebelstücke und etwas Wasser hinzugegeben, bevor sie für 3 Stunden in den Ofen kamen. Für die Soße wurden Flügel, Hals, Magen und Herz mit Zwiebeln angebraten.

Meine Urgroßmutter und Großmutter servierten den Gänsebraten mit Soße, schwäbischem Kartoffelsalat und eingelegter Rote Beete. Gans war bei uns immer das Gericht, das wir zu Heilig Abend nach dem Kirchgang um 18 Uhr gegessen haben, weil der Abend des 24. Dezembers für uns (noch heute) das eigentliche Christfest ist, an dem es auch die Geschenke gibt. In Bessarabien hatte mein Großvater, als er noch ein Kind war, den Nachbarn Weihnachtsplätzchen gebracht und frohe Weihnachten gewünscht. Er freute sich immer besonders, wenn er von den Nachbarn wiederum andere Plätzchensorten bekam.

Bei Hölderlin gab es vermutlich auch eine Gans als Weihnachtsessen. In den Briefen der Pflegefamilie Zimmer wird erwähnt, dass sich Hölderlin das Weihnachtsgebäck, das ihm von der Familie in den Turm geschickt wurde, "gut hat schmecken lassen".

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Gesalzene Dampfnudel oder "Krischtle mit Soß"

Meine Großmutter machte nur gesalzene Dampfnudeln. Dazu reichte sie in Zwiebeln gebratene Schweinekoteletts mit Soße und oft auch gedämpfter Weißkohl (Schnittkohl) oder Kopfsalat in saurer Sahne. Die Kruste hatte uns immer am besten geschmeckt.
Das Teigrezept nahm sie auch für Hefeklöße (Schupfnudeln). In einer Pfanne mit Fett schmorte sie unter regelmäßiger Zugabe von etwas Wasser Kartoffelstücke mit Zwiebel, Paprikapulver und geräuchertem Dörrfleisch und ließ die Schupfnudeln gegen Ende der Kochzeit mit geschlossenem Deckel mitdämpfen. Leider hatten sie dann keine Kruste. Zu Krischtle passt auch die bessarabische Pfeffersoße (Tomaten-Paprikagemüse).

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Nudelsuppe mit Rindfleisch à la Hulda und Ella Faas

Besuchten wir unsere Tante Ella in Niedersachsen, wünschten wir uns zum Mittagessen Rindfleischsuppe mit selbstgemachten Nudeln. Ella besaß einen Küchengarten. Viel Grünzeug und Wurzeln wanderten in die Suppe, die nach der alten Heimat Bessarabien schmeckte, wie Oma Hulda stets schwärmte. Eigentlich war die Suppe ein nicht sättigendes "Hoftoressen". Sobald man vom Tisch aufgestanden war und über den Hof zum Tor lief, hatte man wieder Hunger. Damit es also kein Hoftoressen war, gab es dazu Bratkartoffeln (aus rohen Kartoffeln). Das weichgekochte Suppengemüse wurde mit Salz, Pfeffer und etwas Essig als Paste zum Fleisch gereicht sowie Salzgurken und -tomaten aus dem eigenen Fass.

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Kleine Gerichte aus Bessarabien

Links oben: mit Knoblauch gebratener, hellgrüner Spitzpaprika, lauwarm mit etwas Salz und Weißweinessig serviert.
Mitte unten: Pfeffersoße - ein mit Öl, Zwiebel, Knoblauch, Chilipulver, Salz und Zucker geschmortes Tomaten-Paprikagemüse.
Vorgänger im 18. und 19. Jahrhundert war das mit Salz, Zucker und Pfeffer gedämpfte Tomatengemüse.
Rechts oben: panierte Auberginenscheiben mit Joghurt-Knoblauchsoße.
Meine Großeltern nannten die dunklen Auberginen, "die Blaue". Sie wälzten die Scheiben (die "Ringele") in Mehl oder Ei oder in beidem und brieten sie in der Pfanne. Wir panieren sie am liebsten mit Semmelbrösel.

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Nudelsalat

Kartoffelsalat mit Gewürzgurken, Wurst und Mayonnaise war eine eher russisch angehauchte Variante der bessarabischen Küche. Meistens wurde eher der urschwäbische Kartoffelsalat serviert. Im Laufe der Zeit, also etwa in den 1980er Jahren, setzte sich bei uns immer mehr der Nudelsalat mit Mayo (bzw. Mayo mit Naturjoghurt) durch, mit Paprikapulver, Pfeffer und getrocknetem Basilikum, Gewürzgurken, Fleischwurst, rotem Paprika und Mais.
Oma Hulda bzw. die Bessaraber nannten Mais auch Welschkorn. Hulda hatte oft Welschkorn-Reiten betrieben, d.h. ihr Pferd zertrampelte die Maiskolben, woraus Maismehl gewonnen wurde. Sie hatte uns bis zuletzt auch ganze gekochte Maiskolben mit Salz und Butter serviert.

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Bessarabische Golubzi (Krautwickel)

Die Krautwickel bestehen aus frischen, blanchierten Weißkohlblättern, die mit Hackfleisch, geräuchertem Bauchspeck und Reis gefüllt sind und in einem Topf mit Zwiebeln und Speck angebraten werden. Danach werden sie mit Brühe und etwas Tomatenmark aufgefüllt, damit sie im Sud gar ziehen können. Dazu reichte meine Oma Hulda Faas selbst eingelegtes Sauerkraut und Salzkartoffeln. Hulda hatte wie viele andere bessarabische Hausfrauen auch saure Weißkohlblätter aus ihrem Fass verwendet. Früher wurden nicht nur Gurke, Tomate, Melone und Kürbis, sondern auch ganze und halbe Kohlköpfe sauer eingelegt. In Polen, Russland und der Ukraine bedeutet 'Golubzi' wörtlich übersetzt "Täubchen". Die Krautwickel werden so genannt, weil sie wie kleine Vögel aussehen.

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Gefüllter Spitzpaprika (Pfeffer)

Meine Großeltern nannten die Paprikafrucht "Pfeffer" (wie im Englischen pepper). Pfefferschoten bzw. die schärferen Chilischoten, Knoblauch sowie Pfefferminzöl bei Erkältung wurden oftmals genutzt. Kolumbus hatte uns natürlich nicht nur die Tomate, sondern auch diese Frucht Ende des 15. Jahrhunderts mitgebracht. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Paprika hauptsächlich in der ungarischen Küche verwendet bzw. kurz danach auch in Rumänien und Bessarabien, sodass ich glaube, dass Hölderlin ihn wohl eher nicht kannte. Es sei denn, ihm wurden neue Gemüsesorten bereits 1802 im Hause des Konsul Meyer in Bordeaux serviert, bei dem Hölderlin als Hauslehrer angestellt war.

Im 18. Jahrhundert hatte Italien die Tomate bereits fest im Speiseplan, und da im Schwäbischen schon Teiggerichte aller Art gekocht wurden, könnte es sein, dass Hölderlin der "Liebesapfel" (pomme d'amour), wie ihn die Franzosen nannten, ebenfalls serviert wurde. Gefüllte Tomate mit Hackfleisch, Petersilie und Semmelbrösel dürfte wohl ein schwäbischer Vorgänger des gefüllten Paprika sein, den (wie auf dem Foto) die Bessaraber mit Hackfleisch und Reis füllten.

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Bessarabische "Grüne Bohnensuppe" à la Hulda Faas

Wenn Oma Hulda eine Suppe aus Hülsenfrüchten kochte, dann benutzte sie entweder getrocknete grüne Erbsen oder weiße Bohnen, die sie mit Räucherspeck und pikanten fetten Würsten zubereitete, was in der Zeit in Bessarabien nötig war, weil in der Landwirtschaft alle Leute schwere körperliche Arbeit verrichten mussten und deshalb auch Fett brauchten.
Heutzutage essen wir gerne eine klare Rindfleischsuppe mit frischen grünen Bohnen, die fettarmer ist. Oma Hulda hatte nie ein schwäbisches Linsengericht gekocht, wie mir irgendwann mal aufgefallen war. Hölderlin hatte zu seiner Zeit natürlich saure Linsen, aber auch Erbsen- und Bohneneintopf gegessen. Heute kochen wir aber auch gerne Linsen mit Spätzle und Saiten.

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Bessarabische "Borscht" à la Hulda Faas (Kohlsuppe)

Bei der bessarabischen Borschtsch scheiden sich wohl die Geister. Manche Bessaraber kochten sie mit Rote Beete, Dill und saurer Sahne, sehr nahe am russischen Rezept. Manche nahmen es nicht so genau. Was meine Großmutter Hulda "Borscht" nannte, ist eigentlich eine Rindfleischsuppe mit hauptsächlich Weißkohl, Tomaten, gelbem Paprika, Karotten, Kartoffeln und Reis. Am Tisch schüttet jeder nach seinem Geschmack flüssige Sahne in seine Suppe. Wir kochen die Borscht gerne im Winter, allerdings ohne Reis und Kartoffeln, essen sie aber mit einem Schluck Sahne, weil sie einfach noch leckerer ist.

Wir haben die Suppe auch schon mit Huhn gekocht, aber mit Rindfleisch schmeckt sie uns besser. Hühnersuppe gibt es bei uns vor allem bei Grippe sowie zu Ostern und in der Spargelzeit als Hühnerfrikassee.
A propos Huhn:
Hier noch zwei Tier-Anekdoten aus Bessarabien: meine Vorfahren und natürlich auch meine Großeltern lebten im Einklang mit der Natur. Die Tiere auf dem Hof und der Weide fühlten sich wohl. Meine UrGroßmütter stellten manchmal tierische Besonderheiten fest. So lebte auf dem Hof ein Huhn, dass seine Eier nicht im Stall bei den Artgenossen legen wollte, sondern in einem Handtuch oben auf dem Küchenschrank. Das Huhn flog durch das offene Küchenfenster. War das Fenster geschlossen, pickte es so lange gegen die Scheibe, bis man ihm Einlass gewährte. Und dann gab es ein Schwein, das nicht wie die anderen die Rübenschnitze und Kartoffelschalen aus dem Trog fraß. Meine Großmutter musste die Rübenschnipsel mit Wasser und Kleie zu kleinen Klößen formen. Erst dann fiel das Schwein regelrecht über sein Fressen her. Tja, jedem Tierchen sein Pläsierchen.

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Kratzete oder schwäbischer "Kaiserschmarrn"

Diese Art von Pfannkuchen essen wir nur süß mit Apfel- Rhabarber- oder Pflaumenkompott.
Im Frühsommer zur Spargelzeit gibt es dünne Kräuterpfannkuchen bzw. Crêpes mit weißem Spargel (aus Schwetzingen, Bruchsal oder der Pfalz) und Schinken.

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Napfkuchen

Ein einfacher Rührkuchen aus meiner Kindheit, den meine Großmutter schon lange vor meiner Zeit ohne Rosinen, meine Mutter aber mit Rosinen gebacken hatte.
Rosinen verwendete meine Großmutter im Hefekuchen (Gugelhupf).
Ich mag beide Varianten.

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Tante Emma-Kuchen

Es gab bei uns keine Tante names Emma - soweit ich mich erinnere, aber Tante Gertrud vom Chiemsee. Ich weiß nicht, warum dieser Kuchen Emma heißt, aber er gehört seit jeher zu unserem Repertoire. Mit Sauerkirschen, Haselnüssen, Schokolade und dunklem Rum ist er einer unserer Favoriten. Schlagsahne darf hier auf der Kaffeetafel auch nicht fehlen. 

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Käsekuchen

Mit Quark, Vanillepuddingpulver und flüssiger Butter ist dieser Kuchen ganz nach unserem Geschmack. Zartschmelzend...

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Spitzbuben

Auch die Spitzbuben dürfen zu Weihnachten nicht fehlen.
Meine Großmutter Hulda hatte sie immer mit Himbeer-Gelee gefüllt.

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Walnusskipferl und Buttergebäck

Meine Großmutter Hulda Faas sowie ihre Mutter hatten die Kipferl am liebsten mit eigenen Walnüssen aus dem Garten gebacken. Der Teig, der ansonsten nur aus Butter, Mehl und Zucker besteht, garantiert schöne mürbe Plätzchen.
Das Buttergebäck enthält noch ein Ei und Vanille.
In Bessarabien kamen regelmäßig fahrende Händler in den Dörfern vorbei und boten neben vielen Alltagsdingen, die die Dorfbewohner nicht selbst herstellen oder anpflanzen konnten, auch exotische Gewürze an.


Familienrezepte von Verwandten aus anderen Seitenzweigen unseres Stammbaums
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Altmärkische Hochzeitssuppe aus Salzwedel (um 1900 und früher)

Diese Suppe servierte früher meine Verwandtschaft väterlicherseits (Tante Waltraut) als Vorsuppe im Festmenü bei traditionellen Hochzeiten auf dem Lande. Eine kräftige Hühnerbrühe mit Schweinemettklößchen, feldfrischem Spargel und selbstgemachtem Eierstich aus dem Einmachglas, mit Petersilie oder Schnittlauch garniert. Diese Geschmackskombination erinnert mich generell an große Familienfeiern aus meiner Kindheit. Meine Verwandtschaft isst die Suppe auch als Hauptmahlzeit. Die Einlage wird mit Nudeln, Hühnerfleisch und Karotten erweitert, damit sie sättigt.
Bei großen Feiern gibt es nachts Kuchen und Torten wie am Nachmittag mit starkem Mokka, der die Gäste wachhalten soll.

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Semmelknödel mit Rahmpilzen

Die Patentante meiner Mutter, die liebe Tante Gertrud, zog es in den 1950er Jahren an den Chiemsee, wo sie uns ihre Semmelknödel serviert hatte.
Die Schwiegeroma Maria aus Passau hatte Semmelknödel ebenfalls im Standard-Repertoire sowie Gerichte mit Pilzen. Die Pilze hatte sie mit Opa Otto natürlich auch selbst im Wald gesammelt.
Wir lassen im Knödelteig Speck und gebratene Zwiebeln weg, fügen nur frische Petersilie hinzu. Zwiebeln und Speck landen aber meistens im Pilzgemüse.

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Elsässer Zwiebelkuchen à la Karolina Biffart (Urgroßmutter)

Zwiebelkuchen ist nicht nur eine schwäbische Spezialität, sondern wurde auch von meinen bessarabischen Verwandten mit französischen Wurzeln, den Biffarts, mit Speck, Zwiebeln, Lauch (Porree) und evtl. Schnittlauch oder Frühlingszwiebeln je nach Jahreszeit zubereitet.
Karolina Biffart, geborene Bauer, war eine meiner Urgroßmütter. Sie war mit meinem Urgroßvater Adam Biffart verheiratet, der im Ersten Weltkrieg kämpfte. Ihr Sohn (mein Opa mütterlicherseits), der auch Adam hieß, kämpfte im Zweiten Weltkrieg und heiratete Hulda Faas, die Verwandte Hölderlins, Theodor Heussens und des französischen Ehemanns der dänischen Königin Margrethe II. (siehe das Stammbaum-Foto meiner Familie auf der Startseite unter der Stammbaumseite).

Mein Urgroßvater in 7. Generation (1680-1785), Peter Biffar(t), frz. Pierre Biffart, Bürgermeister und Gerichtsverwandter in dem Pfälzer Dorf (zeitweise französischer Boden), in dem ich aufwuchs, und sein Enkel Adam Biffart, der in der königlichen Kavallerie im Mannheimer Schloss als Rittmeister Karriere machte, heiratete eine Frau aus Hambach/Pfalz (Hambacher Schloss), Marie Lambert. Der französische Einfluss kam seit 1650 in meine schwäbische Linie, der irische Einfluss wohl schon sehr viel früher im Mittelalter. Leider wurden zur Zeit der vielen Glaubenskriege auch viele mittelalterliche Kirchenbücher verbrannt. Unser ältester Nachweis ist bis jetzt Konrad Spring (* 1503).


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Noch ein klitzekleines Hölderlin-Geheimnis für alle, die nichts mit Stricken am Hut haben... Wolle-Fans wissen natürlich Bescheid.
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Keine Wollsocken!

Hölderlin scheint noch immer ein bestrickendes Wesen zu haben, dennoch las ich in einem Brief Ernst Zimmers, dass Hölderlin (genau wie ich) keine dicken Wollsocken mochte. Wollsocken kratzen meistens und sind wohl zu warm. Da dampfen einem ja förmlich die Socken schon beim Hinsehen! Ja, das kenne ich nur zu gut und ich verstehe Hölderlin vollkommen. Da gibt es noch ein paar weitere Familienmitglieder, die dieser Meinung sind.
Ernst Zimmer schrieb der Familie, dass er Hölderlin bis jetzt nicht dazu bringen konnte, Wollsocken zu tragen, aber falls sich Hölderlin eines Tages doch noch dazu überreden ließe, dann könne man ihm vielleicht als Weihnachtsgeschenk mal ein neues Paar stricken.